Die nicht endende Geschichte der Brücke über die „Schlucht"

von Ottheinrich Lang

Mit freundlicher Genehmigung des Autors. Erstmals erschienen in "Historisches Camberg" Nr. 45 - Juni 2010, herausgegeben vom Verein Historisches Camberg e.V.

Die älteren Camberger wissen noch, dass der heutige Ernst-Maria-Lieber-Weg, der Weg der an der Ecke Neumarkt/Mauergasse (Foto Schorn) beginnt und südlich entlang der Stadtmauer in den Kurpark bis zum Heublumenweg führt, früher Schluchtweg hieß.

Die Geschichte der Brücke über diese Schlucht dürfte ähnlich alt sein wie die Geschichte der Kur in Bad Camberg.

Als die Stadt 1918 das Schlösschen (heute „Altes Rathaus”) mit den darum liegenden 24 Morgen Land von Freiherr von Freyberg-Schütz auf Anregung des damaligen Bürgermeisters Johann Pipberger erwarb, könnte die diesem gemäß der Chronik von Albert Schom schon der Gedanke der Errichtung einer Kneippkur vorgeschwebt haben. Johann Pipberger, der mehrmals zur Kneippkur in Bad Wörishofen weilte, brachte die Idee mit und verfolgte sie konsequent weiter.

So beschloss 1920 die Stadtverordnetenversammlung auf Anregung von Dr. Lieber eine Kommission zu bilden, die einen Entwurf und Kostenvoranschlag für ein Luft- und Sonnenbad auf der anderen Seite der Schlucht, dem heutigen Kurviertel, erarbeiten sollte.

1926 wurde der Kur- und Badeverein (Kneipp) gegründet. 1927 wurde zwischen diesem Verein und dem Magistrat ein Vertrag „zum Zwecke der Ausübung der Kneippkur oder einer verwandten Kur” geschlossen. lm gleichen Jahr wurde das Badehaus in Betrieb genommen.

In den Folgejahren entstanden im Kurviertel die ersten Privathäuser wie z.B. das „Haus Denker", das „Park Cafe", später „Park Hotel", welches heute nicht mehr existiert, und das Haus „Anna“ (später Praxis Dr. Weyers), welches von Stadtinspektor Hubert Wenz bewohnt wurde. Stadtinspektor Wenz, die „Säule der Kneippkur der ersten Tage” hatte auch 10 Betten für Kurbetrieb und war ein engagierter Förderer der Kur. Er dürfte der erste gewesen sein, der die Idee einer Brücke über die Schlucht ins Gespräch gebracht hat. Dabei hat er sicherlich nicht nur an die Kurgäste gedacht, sondern er wollte auch sich selbst den mühevollen Weg durch die Schlucht zum Rathaus erleichtern.

Wahrscheinlich hat er oder Bürgermeister Pipberger den Camberger Architekten Johannes Traut, der später ein Architekturbüro in Rüdesheim betrieb, beauftragt einen Entwurf zu fertigen. Dieser „Entwurf einer Holzbrücke über den Schlossgraben zu Camberg, Ts" vom Februar 1932 dürfte der erste gewesen sein.

Vier Jahre später, im August 1936, zeichnete Viktor Giorlani, ein Architekt aus Köln, einen Entwurf und auf einem weiteren Plan ein Bild von einer Brücke, welche er „Entwurf für eine Holzbrücke in Camberg im Taunus” nannte.

 Der gleiche Architekt plante 1938 mit drei Kollegen ein Kur- und Erholungsheim, welches gegenüber dem Waldschloss errichtet werden sollte. Nicht zuletzt durch den Krieg wurde keiner dieser Entwürfe realisiert.

Gemäß den Unterlagen aus dem Stadtarchiv wurde die Idee einer Brücke durch Bürgermeister Helfmann erst in den Jahren 1957/58 wieder aufgegriffen. Er wollte die Brücke durch eine amerikanische Pioniereinheit errichten zu lassen und knüpfte entsprechende Kontakte. Die Amerikaner waren grundsätzlich bereit, forderten jedoch hierfür die Vorlage einer baureifen Zeichnung.

Mit einem Magistratsbeschluss vom 1.11.1957 wurde der Architekt Theo Stillger beauftragt einige Entwürfe anzufertigen. In der Magistratssitzung vom 22.11.57 legte Architekt Stillger zwei Entwürfe vor, einen als Sprengwerkausführung und einen als Nagelbinderausführung. Die erste wurde als zweckdienlicher und dem Landschaftsbild angepasster, die zweite als ästhetisch interessanter empfunden. Die Sache scheiterte, weil die gewählte Konstruktion eine äußerst kostspielige Fundamentierung voraussetzte, dem gegenüber der von den Pionieren zu leistende Anteil relativ gering sein würde. Wegen der angespannten Finanzlage sah sich die Stadt gezwungen von dem Vorhaben vorerst Abstand zu nehmen.

1979 beauftragte der Magistrat das Präsenzbüro aus Camberg eine Bestandsaufnahme und ein Konzept für eine Erneuerung und Erweiterung des Kurparks zu erarbeiten. In diesem „Erneuerungskonzept 1980 - Kur- und Freizeitpark Camberg” wird ebenfalls ein Steg über die Schlucht, der „Rathaus-Steg", vorgeschlagen. Er sollte aus Brettschichtbindern hergestellt und nussbraun gestrichen werden. Die Kosten wurden mit 165.000 DM veranschlagt. In dem über vier Jahre verteilten Maßnahmenkatalog „Kurparkerneuerung” wurde diese Maßnahme erst zum Schluss, also mit nicht all zu hoher Priorität vorgesehen.

Ab 1995 konnten die Hohenfeld-Kliniken auch Patienten nach Bandscheibenoperationen und ähnlichem zur Abschlussbehandlung aufnehmen. Dies nahm die Hohenfeld-Klinik zum Anlass die Brücke bei der Stadt anzumahnen, damit auch Gehbehinderte bzw. ungeübte Rollstuhlfahrer den Kernstadtbereich ohne Überwindung von zu großen Gefällen bzw. Steigungen erreichen könnten.

Das entsprechende Schreiben an den Magistrat wurde auch allen Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung zugeschickt, so dass sich die Parteien und Gremien der Stadt mit dem Thema befassten. Alle befürworteten das Vorhaben, realisiert wurde es nicht.

Danach gab es immer wieder Initiativen und es wurden weitere Entwürfe der Brücke gezeichnet.

2005 bildete sich der Arbeitskreis „Behindertenfreundliche Stadt", der natürlich die Brücke als ein wesentliches Element ansah. Der Kur- und Verkehrsverein machte sich von Anfang an zum Sprecher für dieses Anliegen und spendete 2006, eher symbolisch, 2.000 Euro um die Bemühungen voranzutreiben.

2009 hat das Stadtbauamt bei entsprechenden Fachfirmen Angebote für die Brücke eingeholt. Die Angebote dieser Firmen sind allerdings so hoch, dass die Brücke so nicht realisiert wird und weiter nach Alternativen gesucht werden muss.